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Singende Jugend gesucht!

Für Jugendliche muss es auf jeden Fall erstrebenswert sein, im Chor oder in einem Ensemble zu singen. Es soll das Gefühl bei den jungen Menschen entstehen, mit ihren Fähigkeiten gebraucht zu werden. Das Interesse eines Jugendlichen am Chorgesang spannt sich zwischen einem sogenannten Motivationsquadrat: Dem Interesse an der Musik und die Literaturauswahl, Formen der Präsentation, gesellschaftliche Faktoren, musikfremde Eindrücke. Die geschickte Literaturauswahl ist die „halbe Miete“, aber auch nicht mehr. Nicht selten überschätzt man als Chorleiterin und Chorleiter bei Jugendlichen das allumfassende Interesse an Musik. Zwar konsumieren viele Jugendliche tagtäglich stundenlang Musik, das heißt aber meist nicht, dass dann Carl Orff oder Renaissancemusik über das Handy wiedergegeben werden. Wie kann ich Jugendliche von der groovigen Pop-Nummer auch zum Beispiel zu Mozarts „Requiem“ begleiten, ohne wertend zu sein?

Faktor Motivation

(c) Brigitte Haid

Es sind dabei also weitere Motivationsfaktoren zu beachten, und plötzlich singt eine Schülergruppe im Linienbus lautstark das „Dies Irae“. Was verbirgt sich nun hinter den anderen Ecken des Motivationsquadrats? Formen der Präsentation sind im ersten Moment nicht immer positiv besetzt. Doch jede Musikerin und jeder Musiker lebt bekanntlich auch vom Applaus, von der Rückmeldung des Publikums, der Freunde oder der Familie. „Gehen wir hinaus und zeigen, was wir können.“ Interessante Spielstätten, Konzerte und Konzertreihen mit Medieninteresse, originelle Projekte und nicht zuletzt eine gute PR-Arbeit sind daher unerlässlich. Gesellschaftliche Faktoren beziehen sich auf alle Formen von chorübergreifenden Projekten, Konzertreisen und alle weiteren Aktivitäten, die das gewohnte Chorumfeld verlassen. Über den Tellerrand hinausblicken, heißt bei chorübergreifenden Projekten, sich auch in die Karten blicken zu lassen, die Qualitäten des eigenen Chores und der anderen Chorleiterinnen und -leiter erkennen zu lassen und einen Vergleich in der Chorarbeit zuzulassen. Auch sämtliche weitere gemeinschaftliche Erlebnisse außerhalb der Probenarbeit fallen unter diesen Motivationsbereich. Musikfremde Eindrücke beziehen sich auf Aktivitäten und besondere Sehenswürdigkeiten bei Ausflugsfahrten oder den Eindruck eines besonderen Aufführungsorts.

Fehlt die Spannung an einer dieser Ecken, werden dies andere Bereiche kompensieren müssen, was nicht immer möglich sein wird und der Chor läuft Gefahr, Motivationskraft und in der Folge Mitglieder zu verlieren. Folgende grundlegende Gedanken sind für das Singen mit Knaben und jungen Männern wichtig:

Identitätsfindung und Rollenbild

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Der singende Knabe und junge Mann braucht im nicht als besonders männlich besetzten Feld „Chorsingen“ eine besondere Rolle. Es hat auch im weitesten Sinne etwas mit Prestige zu tun. Was denken meine Freunde über mich als Chorsänger? Das reicht von Belächeln bis Bewunderung mit allen Abstufungen, die dazwischen liegen. Als Chorpädagogin oder Chorpädagoge muss ich diese Facette im Auge behalten und diese Prozesse der Peergroup regelrecht mitplanen.

Ein jahrelang gehegter Wunsch aller Chorpädagoginnen und Pädagogen ist das tägliche Singen im Unterricht der Schule. Singen ist nicht nur einer kleinen, talentierten Schar von „Sonderlingen“ vorbehalten, sondern das einzige Instrument, das alle in sich tragen. Der Schritt von der Rezeption zur Produktion, vom passiven Erleben zum aktiven Musizieren steht im Mittelpunkt. Dieser Punkt ist übrigens für das gesamte Chorwesen von großer Bedeutung. Die Grundlage für die Freude am Singen ist mittlerweile die Schule, früher war es meist die Familie.

Rückzugsbereiche und individuelle Förderung

Koedukation hat im musischen Bereich nur bedingt einen Platz. Für das Singen sollte die Schule oder der Chor einen musikalischen Rückzugsbereich für Burschen bieten, eventuell in Form von getrennten Chorproben, getrenntem Einsingen und stellenweise getrenntem Chorprogramm. Vor allem die Zeit des Stimmwechsels kann mit diesen Rückzugsbereichen gut begleitet werden und die jungen Männer bleiben uns im Chor erhalten. Vielleicht können diese Gedanken anregen, neue Wege im Chorgesang zu gehen, standortbezogene Strategien zu entwickeln und sich vor allem vom unentwegten Lamentieren über die ach so bedauerliche Situation in Bildung und Gesellschaft zu verabschieden.

(Moritz Guttmann)

Ursprünglich erschienen im Mai 2023 in „Salzburger Volks.kultur“ – 47. Jahrgang