Sing mit!

Singen in kleinen Gruppen (Vokalensemble freiklang. Foto: Wolfgang Simlinger)

Singen ist eine der schönsten Ausdrucksformen des Menschen, wenn nicht die schönste. Die eigene Stimme ist das „Musikinstrument“, das uns allen von Natur aus gegeben ist. Über die Bedeutung und Wirkung des Singens – alleine oder in der Gemeinschaft – gibt es Literatur en masse.

Volkslieder, wie wir sie kennen, sind lebens- und jahreslaufbegleitend. Besser gesagt, sie waren das, denn die Gegenwart lässt dafür kaum Platz und Raum. Doch jede Bewegung verursacht Gegenbewegung. Angeregt von musischen Menschen und Institutionen wird das Selbersingen beworben und schmackhaft gemacht.

Das persönliche Erlebnis ist in diesem Zusammenhang nicht ersetzbar. Wenn Stimmung und Situation für gemeinsame Lieder passen – und das geht gewiss nicht auf Knopfdruck – so sind das Erfahrungen, die kaum hinreichend zu beschreiben, sondern vor allem zu erleben sind.

Singen in großer Schar – Schulchor bei aufOHRchen 2025 in St. Valentin (Foto: Volkskultur Niederösterreich)

Ich persönlich hatte das Glück, mit Liedern aufzuwachsen. Die Schullieder meiner Großmutter, später die Almlieder meiner Eltern bleiben beinahe ein Leben lang in Erinnerung.

Obwohl: So mache Melodie mit Text geht verloren, wenn sie nicht wiederkehrt. Eines ist mir aber aufgefallen: Lieder, die man schon einmal auswendig gesungen hatte und die später vergessen schienen, können in relativ kurzer Zeit wieder präsent sein.

Es braucht dazu nur einige Hilfen, sei es eine Textpassage oder ein Melodieanfang und schon holt die Erinnerung das einst Gekonnte in das Bewusstsein: eigentlich ein großartiger Mechanismus.

Walter Deutsch (1929 – 2025) war Lehrer und Begleiter für viele Kolleginnen und Kollegen, die sich mit Volksmusik in Theorie und Praxis befassen.

Notenbild
Rufton und Terz

Er lehrte uns, musikalisch genau hinzusehen und zu analysieren – Melodien zu verstehen und zu vergleichen, das Elementare in der Musik zu erkennen. Es beginnt mit der Rufterz. Ich habe meine so gerne singende Mutter noch im Ohr, wenn sie uns Kinder meist mehrfach zum Essen rief: „Essen ist fertig!“.

Gesungene Kindersprüche und Kinderlieder beispielsweise basieren auf der so genannten Rufterzmelodik. Denkt man an „Ringa, ringa, reiha“, „Backe, backe Kuchen“ oder „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne“ (Laternenlied).

„Unter freiem Himmel – Singen mit Aussicht 2022 am Sonntagberg: „Ein schönes Platzerl, eine schöne Aussicht bei schönem Wetter und schönen Liedern. Foto: Volkskultur Niederösterreich

Es gibt viele Arten, die eigene Stimme zum Klingen zu bringen. Ganz abgesehen von den künstlerischen Ansprüchen in der regelmäßigen Probenarbeit von Chören und Volkalensembles, gibt es das selbstverständliche Singen, eingebettet in das eigene Leben, in die ganz persönlichen Anlässe zum Feiern, aber auch zum Trauern – im Gemeinschaftsleben vor Ort, beim Volksgesang in der Kirche, beim Wandertag oder einfach in froher Runde.

Dazu braucht es gemeinsame Lieder und Gedächtnisstützen in Form von Liederbüchern, vor allem aber den Mut zu singen. Manches Mal denke ich, „wir haben es verlernt, wir trauen uns nicht oder wir genieren uns!“.

Wie oft ist zu hören „Ich kann nicht singen, ich kann Euch den Saal leersingen“. Dazu fällt mir eine Klärung mit folgendem Liedanfang ein: „Singan is unsa Freud´, singan tan mehra Leut´, wer si net singan traut, der håt koa Schneid!“

Wir erinnern uns: Während der Pandemie 2020/21 war die Begegnung von Menschen stark eingeschränkt, so auch das Singen und Musizieren im Chor oder in der Kapelle. Die Sängerinnen und Sänger waren im Besonderen benachteiligt, wurde das Coronavirus doch durch Aerosole von infizierten Personen beim Atmen und Sprechen freigesetzt und somit auf andere übertragen.

Die Chorprobe war in geschlossenen Räumen zunächst nicht möglich, und die freie Natur bekam eine hygienisch einwandfreie und neue Bedeutung. „Unter freiem Himmel – Singen mit Aussicht“ wurde also vor fünf Jahren von der Volkskultur Niederösterreich als landesweite Initiative für die Sommermonate ausgerufen. Die Idee des Singens unter freiem Himmel und mit Aussicht in mehrfacher Aussage wurde gut und gerne aufgenommen und somit geht heuer das „Singen mit Aussicht“ bereits in seine sechste Auflage.

Jubiläumsausgabe „Singen mit Aussicht 2025“

Es ist so einfach und braucht nicht viel: ein schönes Platzerl, einen Singleiter und sangesfreudige Leut´ von Jung bis Alt. Jede und Jeder kann die eigene Stimme ausprobieren, die Hauptstimme lernen, eine Über- oder Unterstimme versuchen, ganz ohne Berührungsangst.

Das Ziel ist, die Freude am Singen zu entfachen. „Einfach tun, nicht nur reden davon“ – lautete einer von drei Wünschen, die Walter Deutsch aus Anlass seines 100. Geburtstags vor zwei Jahren an die Zukunft formulierte. (Der erste – man könnte auch sagen Auftrag – lautete: „Vergesst mir den Ländler nicht!“ und der zweite: „Verzerrt nicht jede Zweistimmigkeit zur Dreistimmigkeit!“.)

Die schon erwähnte Gedächtnisstütze präsentiert sich in der sechsten Ausgabe der Reihe „Singen mit Aussicht – eine Jubiläumsausgabe“. Denn die Chorszene Niederösterreich, die 2025 das 20jährige Bestehen feiert, bietet einmal mehr eine brauchbare Liedersammlung mit 31 traditionellen Liedern, Jodlern und Kanons aus Österreich und benachbarten Kulturen in Geschichte und Gegenwart: einstimmig, zweistimmig, dreistimmig oder im vierstimmigen Chorsatz. An jeden Geschmack ist gedacht.

Singen in zufälligen Zusammensetzungen, wie das eben bei einem Singen mit Aussicht der Fall ist, birgt einen Wert in sich, der über das Musikalische hinausreicht. Abgesehen von neuen Begegnungen und Bekanntschaften, werden über die Lieder harmonische und herzliche Verbindungen geknüpft.

Ein allseits beliebter Kanon – „auf den Punkt gebracht!“

So bin ich der festen Überzeugung: „Singen tut der Seele gut. Daher: Man kann nie genug Lieder haben“.

Dorli Draxler
Juni 2025

Hinweis:
Liederheft Singen mit Aussicht, Volkskultur Niederösterreich in Kooperation mit der Kultur.Region.Niederösterreich, Krems und St. Pölten 2025, 40 Seiten.

Zu beziehen bei der Volkskultur Niederösterreich, Haus der Regionen, Steiner Donaulände 56, 3500 Krems an der Donau.
Detailinformationen unter www.volkskulturnoe.at bzw. www.chorszenenoe.at

Die Jubiläumsausgabe steht auch zum Download zur Verfügung.